Rückblick: „Keine Kompromisse mehr?“ – Historiker Wolfram Pyta über die Hindenburgwahl 1925 als historische Zäsur
Trotz des ungemütlichen Regenwetters fanden sich am Mittwochabend, dem 4. Juni, zahlreiche Interessierte im Atrium des Friedrich-Ebert-Hauses ein, um den Vortrag des renommierten Historikers und Hindenburg-Experten Prof. Dr. Wolfram Pyta zu hören. Unter dem Titel „Keine Kompromisse mehr? – Die Hindenburgwahl 1925 als historische Zäsur“ bot Pyta, Leiter der Abteilung Neuere Geschichte an der Universität Stuttgart, tiefgehende Einblicke in ein Schlüsselereignis der Weimarer Republik.
Den Abend eröffnete Prof. Dr. Bernd Braun, Geschäftsführer des Ebert-Hauses. Mit einer persönlichen Note erinnerte Braun an Pytas langjährige Verbindung zur Stiftung, wo dieser viele Jahre im Wissenschaftlichen Beirat mitwirkte. Für Heiterkeit im Publikum und beim Referenten sorgte ein mitgebrachtes Foto aus dem Jahr 1991, das den jungen Wolfram Pyta bei einer wissenschaftlichen Beiratstagung in Weimar zeigt.
Pyta spannte in seinem Vortrag einen historischen Bogen: Nach dem plötzlichen Tod Friedrich Eberts im Februar 1925 stand die junge Weimarer Republik vor der ersten direkten Volkswahl eines Reichspräsidenten. Der erste Wahlgang blieb ohne Ergebnis – Hindenburg war zu diesem Zeitpunkt noch kein Kandidat, und die Wahlbeteiligung lag bei 69,8 %. Im zweiten Wahlgang schließlich wurde der ehemalige Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg bei einer deutlich gestiegenen Beteiligung von 77,6 % mit knapper Mehrheit vor dem Zentrumspolitiker Wilhelm Marx zum neuen Staatsoberhaupt gewählt.
Pyta zeichnete das eindrucksvolle Bild des „Anti-Ebert“: Während Friedrich Ebert als erfahrener Verhandler und kompromissorientierter Demokrat auftrat, stand Hindenburg für eine autoritäre, militärisch geprägte Führungskultur. Der adlige Berufsoffizier war ein Symbol nationaler Stärke – das genaue Gegenteil seines aus einfachen Verhältnissen stammenden Vorgängers. Hindenburg habe, so Pyta, weder die Kultur der parlamentarischen Demokratie internalisiert noch Interesse an den komplexen Aushandlungsprozessen der Weimarer Ordnung gezeigt.
Besonderes Augenmerk legte Pyta auf die Rolle des Reichspräsidenten innerhalb dieser Verhandlungsdemokratie. Ebert verstand sich als „Hüter des Kompromisses“. Im Gegensatz dazu nutzte Hindenburg seine verfassungsmäßigen Kompetenzen zunehmend, um diese Verhandlungsmechanismen zu umgehen. Entgegen dem lange gepflegten Bild eines passiven Staatsoberhaupts habe Hindenburg aktiv daran gearbeitet, das politische System nach seinen Vorstellungen zu formen.
Zum Abschluss richtete Pyta den Blick auf das Jahr 1932, als der mittlerweile 84-jährige Hindenburg erneut zur Wahl des Staatsoberhauptes stand. Auch das Publikum zeigte sich von der historischen Tragweite des Themas beeindruckt: In der anschließenden lebhaften Diskussion wurde unter anderem die Frage aufgeworfen, ob Hindenburgs hohes Alter und das Aufstreben der NSDAP unter Adolf Hitler letztlich das Ende des politischen Kompromisses als demokratisches Gestaltungsprinzip in der Weimarer Republik besiegelt haben.